Ein Spin-Off der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel.
27. Jahrgang (2024) - Ausgabe 3 (März) - ISSN 1619-2389
 

BSE, Elektrosmog, Teuro-Diskussion:
Krisenkommunikation und
Issues Management beim Branchen-GAU

von Frank Roselieb

Überblick: Erfolgreiche und erfolglose Strategien
bei unternehmensübergreifenden Krisen

Die professionelle Bewältigung von Branchenkrisen – wie BSE, Elektrosmog oder der Teuro-Diskussion – durch systematisches Krisenmanagement stand im Mittelpunkt eines Workshops am 2. April 2003 in der Industrie- und Handelskammer zu Düsseldorf. An der öffentlichen Veranstaltung des Arbeitskreises "Krisen- und Risikokommunikation, Issues Management und Sicherheit" des Krisennavigator - Institut für Krisenforschung in Kiel in Kooperation mit der IHK Düsseldorf nahmen rund 25 Pressesprecher und Geschäftsführer, Beauftragte für das Qualitätsmanagement und Krisenmanager teil.

Jens Hüper, Leiter der Abteilung "Recht und Steuern" der IHK Düsseldorf, begrüßte die Referenten und Unternehmensvertreter und wies in seiner Einführung auf die zunehmende Bedeutung von unternehmensübergreifenden Krisenfällen im betrieblichen Alltag hin. Sieben Referenten aus Wirtschaftspraxis und Wissenschaft erläuterten anhand zahlreicher Fallbeispiele u.a. die presserechtlichen Möglichkeiten und Grenzen bei publizistischen Krisen, Strategien des Issues Managements im Konsumgüterbereich und das richtige Verhalten bei Produktkontamination und Warenrückruf.

Impressionen

    

    

    

Fallstudie: Aus einem Branchen-GAU lernen:
Der Nitrofen-Skandal im Sommer 2002

Frank Roselieb (Foto), Leiter des Krisennavigator - Institut für Krisenforschung, einem "Spin-Off" der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, führte zunächst in das Phänomen eines "Branchen-GAU" ein. Von den bisher analysierten 721 kommunikativen Krisenfällen der fortlaufend aktualisierten Institutsdatenbank sind 64 Ereignisse bzw. 8,9 Prozent aller Krisenfälle der Kategorie "Branchen-GAU" zuzuordnen. Solche unternehmensübergreifenden Krisenfälle entstehen zum einen infolge undifferenzierter Krisenwahrnehmung in der Öffentlichkeit. Beispielsweise musste die Ingelheimer Chemiefirma C.H. Boehringer 1984 ein Werk zur Produktion von Pflanzenschutzmitteln in Hamburg wegen überhöhter Dioxin-Emissionen schließen. In der begleitenden Medienberichterstattung war meist nur vom "Boehringer-Skandal" die Rede, so dass der gleichnamige Arzneimittelproduzent Boehringer Mannheim GmbH unverschuldet in die Ereignisse hineingezogen wurde.  

Zum anderen entwickeln sich unternehmensbezogene Krisenfälle häufig dann zu einem unternehmensübergreifenden Branchen-GAU, wenn die Öffentlichkeit - beispielsweise wegen einheitlicher Produktionsverfahren - eine Betroffenheit der gesamten Branche annimmt. Als 1985 österreichische Winzer ihren Wein mit Diäthylen-Glykol versetzten, musste auch die deutsche Weinwirtschaft massive Umsatzeinbußen hinnehmen. Eine miserable und zum Teil völlig fehlende Krisenkommunikation verschärfte die Situation zusätzlich. Nach den empirischen Befunden des Kieler Instituts für Krisenforschung dauern Branchenkrisen - verglichen mit "normalen" Unternehmenskrisen - im Durchschnitt mehr als doppelt solange (Faktor 2,31) und aktivieren gut eineinhalbmal so viele Anspruchsgruppen (Faktor 1,53). Für das primär betroffene Unternehmen haben sie einen entscheidenden Vorteil: Die Kosten der Krisenkommunikation sind - wegen der Vielzahl an Kommunikationsaktivitäten auf Branchenebene - etwas geringer (Faktor 0,85).

Anhand des Nitrofen-Skandals stellte der Kieler Krisenforscher erfolgreiche und erfolglose Strategien der Krisenkommunikation gegenüber. Basis dafür waren 227 Pressemitteilungen von 67 beteiligten Institutionen sowie 251 Medienberichte über die fraglichen Ereignisse im Sommer 2002 in drei Leitmedien. Damals war Öko-Weizen aus dem brandenburgischen Stegelitz durch Einlagerung in einer ehemaligen Pestizid-Halle in Malchin (Mecklenburg-Vorpommern) mit Spuren des verbotenen Pflanzenschutzmittels Nitrofen in Berührung gekommen. Während die betroffenen Landwirtschaftsverbände, Agrarbetriebe und Handelsunternehmen vergleichsweise schnell und professionell die Öffentlichkeit über die Ereignisse informierten, unterliefen den unterstellten Behörden von Verbraucherschutzministerin Renate Künast zahlreiche kommunikative Fehler.

Statt auf Einheitlichkeit und Zentralität der Krisenkommunikation zu setzen, informierte ein halbes Dutzend Bundesbehörden parallel und in Teilen widersprüchlich über die Ereignisse. Die Ministerin selbst verlor sich in Interviews manchmal in Spekulationen, statt allein Fakten zu kommunizieren. Zudem waren die behördlichen Informationen häufig viel zu detailliert und fachspezifisch, um den Wunsch der Verbraucher nach schneller und verständlicher Information zu genügen. Auch die frühzeitige Vorlage des abschließenden "Bilanzberichts zum Nitrofen-Geschehen" seitens des Bundesministeriums erwies sich als wenig hilfreich. Einerseits ermittelten zu diesem Zeitpunkt - Mitte August 2002 - noch verschiedene Staatsanwaltschaften gegen mögliche Verursacher des Skandals. Andererseits ließ der frühe Vorlagetermin Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Aufklärungsbemühungen seitens des Ministeriums aufkommen.

Schweigen ist Schwäche: Empfehlungen für eine erfolgreiche
Krisenkommunikation bei unternehmensübergreifenden Krisen

Tina Schulte (Foto), Managing Partner der Hering Schuppener Consulting GmbH aus Düsseldorf, unterscheidet drei Typen von Kommunikationskrisen: Während klassische Unternehmenskrisen primär die eigene Firma betreffen und Wettbewerberkrisen einen Konkurrenten unter Handlungsdruck setzen, leiden bei einer Branchenkrise zumeist alle Unternehmen eines Wirtschaftszweigs. Ursächlich hierfür ist in den meisten Fällen ein strukturelles Problem der Branche. Dieses sollte folglich auch gemeinsam mit Wettbewerbern und Geschäftspartner, Verbänden und Behörden, Verbraucherschützern und der Politik gelöst werden. Das Spektrum möglicher Maßnahmen reicht von der Initiierung eines konstruktiven Dialogs mit möglichst allen Stakeholdern über die Einladung zu Journalistenbesuchen in den eigenen Produktionsstätten bis hin zur Aktivierung neutraler Experten zur Untermauerung eigener Aussagen.

Voraussetzung hierfür ist insbesondere eine systematische Krisenprävention. Zum einen setzen richtige Kommunikationsentscheidungen die Kenntnis der eigenen Position im Kräfte- und Interessenfeld zwischen Mitarbeitern und Medien, Kunden und Behörden, Experten und Marktpartnern voraus. Je dichter vor einer möglichen Krise das Beziehungsgeflecht zwischen diesen Gruppen geknüpft und gepflegt wird, desto schneller und zielgerichteter ist in der Regel der Informationsfluss im akuten Krisenfall. Zum anderen ist erfolgreiches Krisenmanagement extremer "Mannschaftssport", bei dem das am besten eingespielte und ausgerüstete Team erfahrungsgemäß die größten Gewinnchancen hat. Vor der Krise sollten daher Krisenhandbücher und Dark Sites für das Internet vorbereitet, Krisenstäbe gebildet sowie Managementinformationssysteme und Standby-Call-Center aufgebaut werden.

Größter Stolperstein für eine proaktive Kommunikation im Krisenfall ist vor allem die Rechtsposition eines Unternehmens. Da viele Unternehmenskrisen Haftungsrisiken bergen, müssen alle Kommunikationsmittel vor ihrem Einsatz darauf geprüft werden, ob ihr Inhalt die Rechtsposition des Unternehmens negativ beeinflussen kann. Vielfach wird diese Prüfung jedoch erst vorgenommen, wenn die Krise bereits akut ist. Das betroffene Unternehmen kann in einem solchen Fall erst zeitverzögert in den öffentlichen Diskurs eingreifen und gerät zwangsläufig in die Defensive. Notwendig sind außerdem regelmäßige Medientrainings und Krisenübungen unter realitätsnahen Bedingungen mit allen Mitgliedern des Krisenstabs, damit Schwachstellen in der Krisenstabsorganisation noch rechtzeitig erkannt und behoben werden können.

Am Beispiel des Acrylamid-Skandals verdeutlichte Tina Schulte, wie ein Branchenproblem durch professionelle Krisenkommunikation erfolgreich an der Eskalation gehindert wurde. Als im April 2002 in verschiedenen stärkehaltigen Lebensmitteln - wie Kartoffelchips, Knäckebrot und Pommes frites - vermutlich krebserregendes Acrylamid nachgewiesen wurde, initiierte das zuständige Bundesministerium Expertengespräche und richtete eine Lenkungsgruppe ein. An dieser waren neben den Bundes- und Landesbehörden auch Wirtschaftsverbände und die betroffenen Unternehmen beteiligt. Durch die zeitnahe Vorstellung und konsequente Umsetzung eines Konzeptes zur Minimierung des Acrylamidgehaltes in stärkehaltigen Lebensmitteln konnte ein nachhaltiger Absatzrückgang der betroffenen Produkte verhindert und einer spürbaren Verhaltensänderung der Verbraucher entgegengewirkt werden.

Rechtliche Schritte richtig abwägen: Möglichkeiten und
Grenzen des Presserechts bei publizistischen Krisen

Rechtsanwältin Dr. Birgit Brömmekamp und Rechtsanwalt Winfried Seibert (Fotos) von der Sozietät Kropp-Olbertz, Schulte-Franzheim, Seibert aus Köln erläuterten in ihrem Vortrag, wann der Einsatz juristischer Mittel gegen "ungünstige" Medienberichte Sinn macht und wann darauf besser verzichtet werden sollte. Die beiden Spezialisten der Kölner Kanzlei für Presse- und Urheberrecht, Wettbewerbs-, Marken- und Kartellrecht schöpften dabei aus einem Fundus von mehreren Jahrzehnten presserechtlicher Beratung für exponierte Einzelpersönlichkeiten, Sportler und Politiker, Ministerien, Behörden, Wirtschaftsunternehmen und Medien (u.a. Capital, Impulse, Stern TV). Hinzukommt eigene journalistische Praxis.

Beim Abwägen rechtlicher Schritte sollte zunächst geprüft werden, ob es sich beim strittigen Medienbericht um eine Tatsachenbehauptung oder um eine Meinungsäußerung handelt. Während eine Meinungsäußerung kaum angreifbar ist, bietet eine falsche Tatsachenbehauptung durchaus Möglichkeiten der juristischen Gegenwehr. Denkbar ist beispielsweise eine formelle Gegendarstellung. Diese ermöglicht zwar eine schnelle Reaktion auf die Anschuldigungen. Sie kann aber leicht eine kontraproduktive Wirkung entfalten, da der Wahrheitsbeweis nicht erforderlich ist und die Redaktion hierauf in einem Nachsatz häufig auch hinweist. Deutlich glaubwürdiger - aber in der Praxis meistens viel zu spät - ist daher das Erwirken einer sogenannten "Richtigstellung" durch das Medienunternehmen.

In der Vergangenheit sorgten Urteile mit hohen Schadensersatzzahlungen von Boulevardzeitungen an Prominente für Schlagzeilen. Diese Fälle stellen jedoch eine Ausnahme dar, denn Geldentschädigungen werden in der Regel nur bei besonders schwerwiegenden Persönlichkeitsverletzungen zuerkannt. Ein allgemeiner Schadensersatz scheitert vielfach schon am nicht konkret nachweisbaren, kausalen Schaden. Ist die Tatsachenbehauptung teilweise unrichtig, sollte von einem fachkundigen Anwalt geprüft werden, ob dieser Umstand es tatsächlich wert ist, gegen ihn rechtlich vorzugehen. Selbst eine richtige Tatsachenbehauptung lohnt zuweilen weitere Überlegungen. Von wem kann die Presse die Angelegenheit erfahren haben? Können die Journalisten ihr vermeintliches Wissen auch beweisen?

Wichtig ist nicht zuletzt ein richtiger Umgang mit Medienanfragen, um späteren juristischen Problemen schon im Vorfeld zu begegnen. Einerseits wird die Verweigerung einer Stellungnahme von den Medien zumeist - eher kontraproduktiv - mit den Worten kommentiert: "Das Unternehmen war zu einer Stellungnahme nicht bereit". Andererseits birgt die Beantwortung von Medienanfragen stets die Gefahr, dass die Antworten später falsch, unvollständig, sinnentstellt oder aus dem Zusammenhang gerissen wiedergegeben werden. Hilfreich sind hier zum einen technische Hilfsmittel - wie die Aufnahme des Interviews mit einem eigenen Tonbandgerät. Zum anderen können Print-Interviews oder schriftliche Stellungnahmen auch mit einem spezialisierten Anwalt abgestimmt werden.

Schwache Signale rechtzeitig erkennen: Strategien
des Issues Managements im Konsumgüterbereich

Für Petra Sammer und Florian Semle (Fotos) von der Kommunikationsagentur Ketchum GmbH aus München beginnt erfolgreiche Krisenprävention bei einer sich abzeichnenden Branchenkrise schon im vormedialen Stadium. Das Spektrum möglicher Frühwarnsignale reicht von kritischen wissenschaftlichen Erkenntnissen, die das Vertrauen der Kunden in die eigenen Produkte erschüttern können, über nachteilige Gesetzesinitiativen bis hin zum sich andeutenden Fehlverhalten eines Konkurrenten. Die Anfälligkeit für solche Branchen-Issues wird nicht zuletzt von der Markenbekanntheit des eigenen Unternehmens bestimmt. So wurde beispielsweise McDonald's während der BSE-Krise deutlich häufiger in den Medien zitiert als Burger King, obwohl beide Unternehmen gleichermaßen vom Problem betroffen waren.

Präventives Issues Management setzt eine strategische Risikoanalyse voraus. Dabei werden Typen möglicher Branchen-Issues identifiziert, relevante Teilöffentlichkeiten ermittelt und Schwellenwerte für Frühwarnsignale festgelegt. Unternehmensintern müssen die eigenen Mitarbeiter für die Notwendigkeit eines präventiven Krisenmanagements sensibilisiert und Experten zur fachgerechten Beurteilung schwacher Signale ermittelt werden. Auf der technischen Ebene sind Instrumente für das Monitoring kritischer Entwicklungen zu installieren, alternative Kommunikationsstrategien zu erarbeiten und flexible Aktionspläne für den Ernstfall bereitzuhalten. Zeichnet sich eine Branchenkrise ab, so wird anhand von Szenarioanalysen das zu erwartende Medieninteresse ermittelt und auf Basis dieser Analysen das zweckmäßige Bündel an Kommunikationsmaßnahmen ausgewählt.

In der Frühphase eines Issues empfehlen die Krisenexperten von Ketchum, Aufklärungskampagnen für Verbraucher und Meinungsbildner zu starten, positiv besetzte Themen - wie das betriebliche Qualitätsmanagement oder eine besonders transparente Wertschöpfungsstruktur - zu kommunizieren sowie auf die vertrauensschaffende Kraft von Gütesiegeln, Studien und Testergebnissen zu setzen. Zeichnet sich eine Krise unverkennbar ab, sollten in der Vorkrisenphase Kritiker direkt angesprochen, Branchenverbände aktiviert und Vorbereitungen für eine weitere Eskalation der Krise getroffen werden. Im akuten Krisenfall müssen die Unternehmen innerhalb kürzester Zeit ihre Kernbotschaften durch Pressemitteilungen und Internet-Seiten in der Öffentlichkeit platzieren, Statements von glaubwürdigen Experten einholen und Hotlines für verunsicherte Konsumenten bereitstellen.

Das hier skizzierte idealtypische Issues Management bei unternehmensübergreifenden Krisen scheitert in der Unternehmenspraxis nicht selten an zahlreichen Problemen: Partikularinteressen einzelner Unternehmen verhindern vielfach eine effektive Verbandsarbeit. Unternehmensintern unterschätzen die Verantwortlichen zuweilen die Bedeutung branchenweiter "schwacher Signale" für die eigenen Produkte und Dienstleistungen. Manchmal werden die betrieblichen Krisenmanager - wegen der permanenten Alarmbereitschaft und kontinuierlichen Medienberichterstattung über Krisenfälle innerhalb der eigenen Branche - im Zeitablauf desensibilisiert. Nicht selten verzichten Unternehmen aus Kostengründen ganz auf die Einrichtung eines systematischen Issues Managements - und damit auch auf die "Krisendividende" durch professionelle Krisenprävention.

Den Flächenbrand verhindern: Krisenmanagement
bei Produktkontamination und Warenrückruf

Guido Hinrich, Senior Consultant der Trauboth Risk Management GmbH aus Sankt Augustin bei Bonn, verdeutlichte in seinem Vortrag zunächst die fatalen Folgen fehlerhafter Produkte für Konsumenten und Produzenten. So drohen den betroffenen Unternehmen - neben finanziellen Schäden infolge von Umsatzrückgängen oder Warenrückrufaktionen - auch Konsequenzen strafrechtlicher Art (beispielsweise wegen Körperverletzung oder fahrlässiger Tötung), im zivilrechtlichen Bereich (durch Nichterfüllung von Verträgen etc.) oder infolge ordnungsrechtlicher Verfehlungen (zum Beispiel wegen einer Verletzung der Sorgfaltspflicht).

Gerade Betriebe der Lebensmittelindustrie bergen ein erhebliches Krisenpotential. Erstens ist die Lebensmittelbranche in besonderem Maße Produkterpressungen ausgesetzt, so dass jeder Fall unverzügliches Handeln erfordert, um Wiederholungstäter abzuschrecken. Zweites sind die Verbraucher durch die Vielzahl der Fälle hochsensibilisiert. Verlorenes Verbrauchervertrauen nach einem Lebensmittelskandal lässt sich daher nur schwer zurückgewinnen. Drittens nimmt die Kompetenz von Behörden zur zeitnahen Information und konsequenten Sanktionierung bei Produktdefekten kontinuierlich zu. Unternehmen müssen folglich ihrerseits entsprechende Kompetenzen beim Krisenmanagement und in der Krisenkommunikation aufbauen.

Zur Vorbereitung auf mögliche Warenrückrufe empfiehlt Guido Hinrich ein modulares, mehrstufiges Krisenmanagementkonzept: Zunächst werden im Rahmen eines Security Audit kritische Ereignisse der Vergangenheit ausgewertet und die bestehende Notfallorganisation analysiert. Anschließend erfolgt eine Bewertung der identifizierten Risiken hinsichtlich ihrer Eintrittswahrscheinlichkeit und Schadensauswirkung. Eine adäquate Notfallorganisation wird geschaffen und ein Krisenhandbuch mit den wichtigsten Grundsätze und Verfahren zur Krisenbewältigung erstellt. Eine 24-Stunden-Bereitschaft externer Krisenmanager garantiert den hauseigenen Experten im Ernstfall fachkundige personelle Unterstützung.

Die Besonderheiten von Krisensituationen führen in der betrieblichen Praxis häufig dazu, dass elementare Fehler bei der Krisenbewältigung gemacht werden. Schock und Kontrollverlust, Mangel an Informationen einerseits und akuter Entscheidungsdruck andererseits lassen viele erfolgreiche Manager im akuten Krisenfall versagen. Nur durch regelmäßiges Training und eine professionelle Krisenstabsorganisation können robuste Systeme für den Notfall geschaffen werden. Operative Checklisten stellen zudem sicher, dass auch andere Bereiche des Unternehmens - beispielsweise die Telefonzentrale oder der Pförtner - im Ernstfall elementare Fehler vermeiden. 

Ansprechpartner

Frank Roselieb
Krisennavigator - Institut für Krisenforschung
Ein Spin-Off der Universität Kiel
Schauenburgerstraße 116
D-24118 Kiel
Telefon: +49 (0)431 907 - 26 10
Telefax: +49 (0)431 907 - 26 11
Internet: www.krisennavigator.de
E-Mail: roselieb@krisennavigator.de

Erstveröffentlichung im Krisennavigator (ISSN 1619-2389):
6. Jahrgang (2003), Ausgabe 4 (April)

Vervielfältigung und Verbreitung - auch auszugsweise - nur mit ausdrücklicher
schriftlicher Genehmigung des Krisennavigator - Institut für Krisenforschung, Kiel.
© Krisennavigator 1998-2024. Alle Rechte vorbehalten. ISSN 1619-2389.
Internet:
www.krisennavigator.de | E-Mail: poststelle@ifk-kiel.de

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BSE, Elektrosmog, Teuro-Diskussion:
Krisenkommunikation und
Issues Management beim Branchen-GAU

von Frank Roselieb

Überblick: Erfolgreiche und erfolglose Strategien
bei unternehmensübergreifenden Krisen

Die professionelle Bewältigung von Branchenkrisen – wie BSE, Elektrosmog oder der Teuro-Diskussion – durch systematisches Krisenmanagement stand im Mittelpunkt eines Workshops am 2. April 2003 in der Industrie- und Handelskammer zu Düsseldorf. An der öffentlichen Veranstaltung des Arbeitskreises "Krisen- und Risikokommunikation, Issues Management und Sicherheit" des Krisennavigator - Institut für Krisenforschung in Kiel in Kooperation mit der IHK Düsseldorf nahmen rund 25 Pressesprecher und Geschäftsführer, Beauftragte für das Qualitätsmanagement und Krisenmanager teil.

Jens Hüper, Leiter der Abteilung "Recht und Steuern" der IHK Düsseldorf, begrüßte die Referenten und Unternehmensvertreter und wies in seiner Einführung auf die zunehmende Bedeutung von unternehmensübergreifenden Krisenfällen im betrieblichen Alltag hin. Sieben Referenten aus Wirtschaftspraxis und Wissenschaft erläuterten anhand zahlreicher Fallbeispiele u.a. die presserechtlichen Möglichkeiten und Grenzen bei publizistischen Krisen, Strategien des Issues Managements im Konsumgüterbereich und das richtige Verhalten bei Produktkontamination und Warenrückruf.

Impressionen

    

    

    

Agenda

Fallstudie: Aus einem Branchen-GAU lernen:
Der Nitrofen-Skandal im Sommer 2002

Frank Roselieb (Foto), Leiter des Krisennavigator - Institut für Krisenforschung, einem "Spin-Off" der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, führte zunächst in das Phänomen eines "Branchen-GAU" ein. Von den bisher analysierten 721 kommunikativen Krisenfällen der fortlaufend aktualisierten Institutsdatenbank sind 64 Ereignisse bzw. 8,9 Prozent aller Krisenfälle der Kategorie "Branchen-GAU" zuzuordnen. Solche unternehmensübergreifenden Krisenfälle entstehen zum einen infolge undifferenzierter Krisenwahrnehmung in der Öffentlichkeit. Beispielsweise musste die Ingelheimer Chemiefirma C.H. Boehringer 1984 ein Werk zur Produktion von Pflanzenschutzmitteln in Hamburg wegen überhöhter Dioxin-Emissionen schließen. In der begleitenden Medienberichterstattung war meist nur vom "Boehringer-Skandal" die Rede, so dass der gleichnamige Arzneimittelproduzent Boehringer Mannheim GmbH unverschuldet in die Ereignisse hineingezogen wurde.  

Zum anderen entwickeln sich unternehmensbezogene Krisenfälle häufig dann zu einem unternehmensübergreifenden Branchen-GAU, wenn die Öffentlichkeit - beispielsweise wegen einheitlicher Produktionsverfahren - eine Betroffenheit der gesamten Branche annimmt. Als 1985 österreichische Winzer ihren Wein mit Diäthylen-Glykol versetzten, musste auch die deutsche Weinwirtschaft massive Umsatzeinbußen hinnehmen. Eine miserable und zum Teil völlig fehlende Krisenkommunikation verschärfte die Situation zusätzlich. Nach den empirischen Befunden des Kieler Instituts für Krisenforschung dauern Branchenkrisen - verglichen mit "normalen" Unternehmenskrisen - im Durchschnitt mehr als doppelt solange (Faktor 2,31) und aktivieren gut eineinhalbmal so viele Anspruchsgruppen (Faktor 1,53). Für das primär betroffene Unternehmen haben sie einen entscheidenden Vorteil: Die Kosten der Krisenkommunikation sind - wegen der Vielzahl an Kommunikationsaktivitäten auf Branchenebene - etwas geringer (Faktor 0,85).

Anhand des Nitrofen-Skandals stellte der Kieler Krisenforscher erfolgreiche und erfolglose Strategien der Krisenkommunikation gegenüber. Basis dafür waren 227 Pressemitteilungen von 67 beteiligten Institutionen sowie 251 Medienberichte über die fraglichen Ereignisse im Sommer 2002 in drei Leitmedien. Damals war Öko-Weizen aus dem brandenburgischen Stegelitz durch Einlagerung in einer ehemaligen Pestizid-Halle in Malchin (Mecklenburg-Vorpommern) mit Spuren des verbotenen Pflanzenschutzmittels Nitrofen in Berührung gekommen. Während die betroffenen Landwirtschaftsverbände, Agrarbetriebe und Handelsunternehmen vergleichsweise schnell und professionell die Öffentlichkeit über die Ereignisse informierten, unterliefen den unterstellten Behörden von Verbraucherschutzministerin Renate Künast zahlreiche kommunikative Fehler.

Statt auf Einheitlichkeit und Zentralität der Krisenkommunikation zu setzen, informierte ein halbes Dutzend Bundesbehörden parallel und in Teilen widersprüchlich über die Ereignisse. Die Ministerin selbst verlor sich in Interviews manchmal in Spekulationen, statt allein Fakten zu kommunizieren. Zudem waren die behördlichen Informationen häufig viel zu detailliert und fachspezifisch, um den Wunsch der Verbraucher nach schneller und verständlicher Information zu genügen. Auch die frühzeitige Vorlage des abschließenden "Bilanzberichts zum Nitrofen-Geschehen" seitens des Bundesministeriums erwies sich als wenig hilfreich. Einerseits ermittelten zu diesem Zeitpunkt - Mitte August 2002 - noch verschiedene Staatsanwaltschaften gegen mögliche Verursacher des Skandals. Andererseits ließ der frühe Vorlagetermin Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Aufklärungsbemühungen seitens des Ministeriums aufkommen.

Schweigen ist Schwäche: Empfehlungen für eine erfolgreiche
Krisenkommunikation bei unternehmensübergreifenden Krisen

Tina Schulte (Foto), Managing Partner der Hering Schuppener Consulting GmbH aus Düsseldorf, unterscheidet drei Typen von Kommunikationskrisen: Während klassische Unternehmenskrisen primär die eigene Firma betreffen und Wettbewerberkrisen einen Konkurrenten unter Handlungsdruck setzen, leiden bei einer Branchenkrise zumeist alle Unternehmen eines Wirtschaftszweigs. Ursächlich hierfür ist in den meisten Fällen ein strukturelles Problem der Branche. Dieses sollte folglich auch gemeinsam mit Wettbewerbern und Geschäftspartner, Verbänden und Behörden, Verbraucherschützern und der Politik gelöst werden. Das Spektrum möglicher Maßnahmen reicht von der Initiierung eines konstruktiven Dialogs mit möglichst allen Stakeholdern über die Einladung zu Journalistenbesuchen in den eigenen Produktionsstätten bis hin zur Aktivierung neutraler Experten zur Untermauerung eigener Aussagen.

Voraussetzung hierfür ist insbesondere eine systematische Krisenprävention. Zum einen setzen richtige Kommunikationsentscheidungen die Kenntnis der eigenen Position im Kräfte- und Interessenfeld zwischen Mitarbeitern und Medien, Kunden und Behörden, Experten und Marktpartnern voraus. Je dichter vor einer möglichen Krise das Beziehungsgeflecht zwischen diesen Gruppen geknüpft und gepflegt wird, desto schneller und zielgerichteter ist in der Regel der Informationsfluss im akuten Krisenfall. Zum anderen ist erfolgreiches Krisenmanagement extremer "Mannschaftssport", bei dem das am besten eingespielte und ausgerüstete Team erfahrungsgemäß die größten Gewinnchancen hat. Vor der Krise sollten daher Krisenhandbücher und Dark Sites für das Internet vorbereitet, Krisenstäbe gebildet sowie Managementinformationssysteme und Standby-Call-Center aufgebaut werden.

Größter Stolperstein für eine proaktive Kommunikation im Krisenfall ist vor allem die Rechtsposition eines Unternehmens. Da viele Unternehmenskrisen Haftungsrisiken bergen, müssen alle Kommunikationsmittel vor ihrem Einsatz darauf geprüft werden, ob ihr Inhalt die Rechtsposition des Unternehmens negativ beeinflussen kann. Vielfach wird diese Prüfung jedoch erst vorgenommen, wenn die Krise bereits akut ist. Das betroffene Unternehmen kann in einem solchen Fall erst zeitverzögert in den öffentlichen Diskurs eingreifen und gerät zwangsläufig in die Defensive. Notwendig sind außerdem regelmäßige Medientrainings und Krisenübungen unter realitätsnahen Bedingungen mit allen Mitgliedern des Krisenstabs, damit Schwachstellen in der Krisenstabsorganisation noch rechtzeitig erkannt und behoben werden können.

Am Beispiel des Acrylamid-Skandals verdeutlichte Tina Schulte, wie ein Branchenproblem durch professionelle Krisenkommunikation erfolgreich an der Eskalation gehindert wurde. Als im April 2002 in verschiedenen stärkehaltigen Lebensmitteln - wie Kartoffelchips, Knäckebrot und Pommes frites - vermutlich krebserregendes Acrylamid nachgewiesen wurde, initiierte das zuständige Bundesministerium Expertengespräche und richtete eine Lenkungsgruppe ein. An dieser waren neben den Bundes- und Landesbehörden auch Wirtschaftsverbände und die betroffenen Unternehmen beteiligt. Durch die zeitnahe Vorstellung und konsequente Umsetzung eines Konzeptes zur Minimierung des Acrylamidgehaltes in stärkehaltigen Lebensmitteln konnte ein nachhaltiger Absatzrückgang der betroffenen Produkte verhindert und einer spürbaren Verhaltensänderung der Verbraucher entgegengewirkt werden.

Rechtliche Schritte richtig abwägen: Möglichkeiten und
Grenzen des Presserechts bei publizistischen Krisen

Rechtsanwältin Dr. Birgit Brömmekamp und Rechtsanwalt Winfried Seibert (Fotos) von der Sozietät Kropp-Olbertz, Schulte-Franzheim, Seibert aus Köln erläuterten in ihrem Vortrag, wann der Einsatz juristischer Mittel gegen "ungünstige" Medienberichte Sinn macht und wann darauf besser verzichtet werden sollte. Die beiden Spezialisten der Kölner Kanzlei für Presse- und Urheberrecht, Wettbewerbs-, Marken- und Kartellrecht schöpften dabei aus einem Fundus von mehreren Jahrzehnten presserechtlicher Beratung für exponierte Einzelpersönlichkeiten, Sportler und Politiker, Ministerien, Behörden, Wirtschaftsunternehmen und Medien (u.a. Capital, Impulse, Stern TV). Hinzukommt eigene journalistische Praxis.

Beim Abwägen rechtlicher Schritte sollte zunächst geprüft werden, ob es sich beim strittigen Medienbericht um eine Tatsachenbehauptung oder um eine Meinungsäußerung handelt. Während eine Meinungsäußerung kaum angreifbar ist, bietet eine falsche Tatsachenbehauptung durchaus Möglichkeiten der juristischen Gegenwehr. Denkbar ist beispielsweise eine formelle Gegendarstellung. Diese ermöglicht zwar eine schnelle Reaktion auf die Anschuldigungen. Sie kann aber leicht eine kontraproduktive Wirkung entfalten, da der Wahrheitsbeweis nicht erforderlich ist und die Redaktion hierauf in einem Nachsatz häufig auch hinweist. Deutlich glaubwürdiger - aber in der Praxis meistens viel zu spät - ist daher das Erwirken einer sogenannten "Richtigstellung" durch das Medienunternehmen.

In der Vergangenheit sorgten Urteile mit hohen Schadensersatzzahlungen von Boulevardzeitungen an Prominente für Schlagzeilen. Diese Fälle stellen jedoch eine Ausnahme dar, denn Geldentschädigungen werden in der Regel nur bei besonders schwerwiegenden Persönlichkeitsverletzungen zuerkannt. Ein allgemeiner Schadensersatz scheitert vielfach schon am nicht konkret nachweisbaren, kausalen Schaden. Ist die Tatsachenbehauptung teilweise unrichtig, sollte von einem fachkundigen Anwalt geprüft werden, ob dieser Umstand es tatsächlich wert ist, gegen ihn rechtlich vorzugehen. Selbst eine richtige Tatsachenbehauptung lohnt zuweilen weitere Überlegungen. Von wem kann die Presse die Angelegenheit erfahren haben? Können die Journalisten ihr vermeintliches Wissen auch beweisen?

Wichtig ist nicht zuletzt ein richtiger Umgang mit Medienanfragen, um späteren juristischen Problemen schon im Vorfeld zu begegnen. Einerseits wird die Verweigerung einer Stellungnahme von den Medien zumeist - eher kontraproduktiv - mit den Worten kommentiert: "Das Unternehmen war zu einer Stellungnahme nicht bereit". Andererseits birgt die Beantwortung von Medienanfragen stets die Gefahr, dass die Antworten später falsch, unvollständig, sinnentstellt oder aus dem Zusammenhang gerissen wiedergegeben werden. Hilfreich sind hier zum einen technische Hilfsmittel - wie die Aufnahme des Interviews mit einem eigenen Tonbandgerät. Zum anderen können Print-Interviews oder schriftliche Stellungnahmen auch mit einem spezialisierten Anwalt abgestimmt werden.

Schwache Signale rechtzeitig erkennen: Strategien
des Issues Managements im Konsumgüterbereich

Für Petra Sammer und Florian Semle (Fotos) von der Kommunikationsagentur Ketchum GmbH aus München beginnt erfolgreiche Krisenprävention bei einer sich abzeichnenden Branchenkrise schon im vormedialen Stadium. Das Spektrum möglicher Frühwarnsignale reicht von kritischen wissenschaftlichen Erkenntnissen, die das Vertrauen der Kunden in die eigenen Produkte erschüttern können, über nachteilige Gesetzesinitiativen bis hin zum sich andeutenden Fehlverhalten eines Konkurrenten. Die Anfälligkeit für solche Branchen-Issues wird nicht zuletzt von der Markenbekanntheit des eigenen Unternehmens bestimmt. So wurde beispielsweise McDonald's während der BSE-Krise deutlich häufiger in den Medien zitiert als Burger King, obwohl beide Unternehmen gleichermaßen vom Problem betroffen waren.

Präventives Issues Management setzt eine strategische Risikoanalyse voraus. Dabei werden Typen möglicher Branchen-Issues identifiziert, relevante Teilöffentlichkeiten ermittelt und Schwellenwerte für Frühwarnsignale festgelegt. Unternehmensintern müssen die eigenen Mitarbeiter für die Notwendigkeit eines präventiven Krisenmanagements sensibilisiert und Experten zur fachgerechten Beurteilung schwacher Signale ermittelt werden. Auf der technischen Ebene sind Instrumente für das Monitoring kritischer Entwicklungen zu installieren, alternative Kommunikationsstrategien zu erarbeiten und flexible Aktionspläne für den Ernstfall bereitzuhalten. Zeichnet sich eine Branchenkrise ab, so wird anhand von Szenarioanalysen das zu erwartende Medieninteresse ermittelt und auf Basis dieser Analysen das zweckmäßige Bündel an Kommunikationsmaßnahmen ausgewählt.

In der Frühphase eines Issues empfehlen die Krisenexperten von Ketchum, Aufklärungskampagnen für Verbraucher und Meinungsbildner zu starten, positiv besetzte Themen - wie das betriebliche Qualitätsmanagement oder eine besonders transparente Wertschöpfungsstruktur - zu kommunizieren sowie auf die vertrauensschaffende Kraft von Gütesiegeln, Studien und Testergebnissen zu setzen. Zeichnet sich eine Krise unverkennbar ab, sollten in der Vorkrisenphase Kritiker direkt angesprochen, Branchenverbände aktiviert und Vorbereitungen für eine weitere Eskalation der Krise getroffen werden. Im akuten Krisenfall müssen die Unternehmen innerhalb kürzester Zeit ihre Kernbotschaften durch Pressemitteilungen und Internet-Seiten in der Öffentlichkeit platzieren, Statements von glaubwürdigen Experten einholen und Hotlines für verunsicherte Konsumenten bereitstellen.

Das hier skizzierte idealtypische Issues Management bei unternehmensübergreifenden Krisen scheitert in der Unternehmenspraxis nicht selten an zahlreichen Problemen: Partikularinteressen einzelner Unternehmen verhindern vielfach eine effektive Verbandsarbeit. Unternehmensintern unterschätzen die Verantwortlichen zuweilen die Bedeutung branchenweiter "schwacher Signale" für die eigenen Produkte und Dienstleistungen. Manchmal werden die betrieblichen Krisenmanager - wegen der permanenten Alarmbereitschaft und kontinuierlichen Medienberichterstattung über Krisenfälle innerhalb der eigenen Branche - im Zeitablauf desensibilisiert. Nicht selten verzichten Unternehmen aus Kostengründen ganz auf die Einrichtung eines systematischen Issues Managements - und damit auch auf die "Krisendividende" durch professionelle Krisenprävention.

Den Flächenbrand verhindern: Krisenmanagement
bei Produktkontamination und Warenrückruf

Guido Hinrich, Senior Consultant der Trauboth Risk Management GmbH aus Sankt Augustin bei Bonn, verdeutlichte in seinem Vortrag zunächst die fatalen Folgen fehlerhafter Produkte für Konsumenten und Produzenten. So drohen den betroffenen Unternehmen - neben finanziellen Schäden infolge von Umsatzrückgängen oder Warenrückrufaktionen - auch Konsequenzen strafrechtlicher Art (beispielsweise wegen Körperverletzung oder fahrlässiger Tötung), im zivilrechtlichen Bereich (durch Nichterfüllung von Verträgen etc.) oder infolge ordnungsrechtlicher Verfehlungen (zum Beispiel wegen einer Verletzung der Sorgfaltspflicht).

Gerade Betriebe der Lebensmittelindustrie bergen ein erhebliches Krisenpotential. Erstens ist die Lebensmittelbranche in besonderem Maße Produkterpressungen ausgesetzt, so dass jeder Fall unverzügliches Handeln erfordert, um Wiederholungstäter abzuschrecken. Zweites sind die Verbraucher durch die Vielzahl der Fälle hochsensibilisiert. Verlorenes Verbrauchervertrauen nach einem Lebensmittelskandal lässt sich daher nur schwer zurückgewinnen. Drittens nimmt die Kompetenz von Behörden zur zeitnahen Information und konsequenten Sanktionierung bei Produktdefekten kontinuierlich zu. Unternehmen müssen folglich ihrerseits entsprechende Kompetenzen beim Krisenmanagement und in der Krisenkommunikation aufbauen.

Zur Vorbereitung auf mögliche Warenrückrufe empfiehlt Guido Hinrich ein modulares, mehrstufiges Krisenmanagementkonzept: Zunächst werden im Rahmen eines Security Audit kritische Ereignisse der Vergangenheit ausgewertet und die bestehende Notfallorganisation analysiert. Anschließend erfolgt eine Bewertung der identifizierten Risiken hinsichtlich ihrer Eintrittswahrscheinlichkeit und Schadensauswirkung. Eine adäquate Notfallorganisation wird geschaffen und ein Krisenhandbuch mit den wichtigsten Grundsätze und Verfahren zur Krisenbewältigung erstellt. Eine 24-Stunden-Bereitschaft externer Krisenmanager garantiert den hauseigenen Experten im Ernstfall fachkundige personelle Unterstützung.

Die Besonderheiten von Krisensituationen führen in der betrieblichen Praxis häufig dazu, dass elementare Fehler bei der Krisenbewältigung gemacht werden. Schock und Kontrollverlust, Mangel an Informationen einerseits und akuter Entscheidungsdruck andererseits lassen viele erfolgreiche Manager im akuten Krisenfall versagen. Nur durch regelmäßiges Training und eine professionelle Krisenstabsorganisation können robuste Systeme für den Notfall geschaffen werden. Operative Checklisten stellen zudem sicher, dass auch andere Bereiche des Unternehmens - beispielsweise die Telefonzentrale oder der Pförtner - im Ernstfall elementare Fehler vermeiden. 

Ansprechpartner

Frank Roselieb
Krisennavigator - Institut für Krisenforschung
Ein Spin-Off der Universität Kiel
Schauenburgerstraße 116
D-24118 Kiel
Telefon: +49 (0)431 907 - 26 10
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Erstveröffentlichung im Krisennavigator (ISSN 1619-2389):
6. Jahrgang (2003), Ausgabe 4 (April)

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Letzte Aktualisierung: Donnerstag, 28. März 2024

       

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